Aliens und Atheisten

George Coyne

George Coyne

Er leitet die päpstliche Sternwarte und würde Außerirdische nach der Erbsünde und der Erlösung fragen. George Coyne hält als gläubiger Astrophysiker und kritischer Priester im Vatikan die Fahne der Wissenschaft hoch

Quelle: DIE ZEIT 16.02.2006

DIE ZEIT: Sie sind Jesuit und Astronom. Wenn Sie in den Himmel gucken, sehen Sie dort die Schöpfung Gottes?

George Coyne: Zunächst mal sehe ich Sterne, und ich versuche, sie als Wissenschaftler zu verstehen. Mein religiöser Glaube wird natürlich durch die Wissenschaft bereichert. Als Priester versuche ich herauszufinden, was die Forschungsergebnisse für meinen religiösen Glauben zu bedeuten haben.

ZEIT: Viele Wissenschaftler halten die Existenz des Universums für Zufall, religiöse Menschen sehen dahinter einen Plan. Auf welcher Seite sind Sie?

Coyne: Die Frage ist unzureichend formuliert. Es gibt eine dritte Komponente, und das ist die Fruchtbarkeit des Universums. 10 hoch 22 Sterne gibt es im Universum! Es begann vor rund 14 Milliarden Jahren im Urknall, und durch das Entstehen und Vergehen der Sterne wurden jene chemischen Elemente hervorgebracht, aus denen alles zusammengesetzt ist, wir eingeschlossen. Wir bestehen im wahrsten Sinne aus Sternenstaub. Nur im Innern der Sterne konnte genug Kohlenstoff entstehen, um Fußnägel, Ohrläppchen und all das hervorzubringen.

ZEIT: Zufall oder Notwendigkeit?

Coyne: Zufall und Notwendigkeit gehen über eine lange Zeitspanne Hand in Hand, sodass menschliches Leben in einem fruchtbaren Universum aus beiden heraus entsteht. Zum Beispiel treffen zwei Wasserstoffatome im frühen Universum aufeinander. Eigentlich müssten sie ein Molekül bilden, denn das ist die Natur der chemischen Bindung. Aber das passiert nicht, weil Druck und Temperatur zu dieser Zeit und an diesem Ort dafür ungünstig sind. Also driften die Atome wieder durchs All. Zufällig treffen sie wieder aufeinander, und diesmal stimmen die Bedingungen. Abermilliarden Wasserstoffatome machen das viele Milliarden, Trilliarden Mal. Warum also sollten wir überrascht sein, dass nach langer Zeit eine komplizierte Chemie daraus hervorgeht? Es ist ein deterministischer Prozess mit einer Zufallskomponente.

ZEIT: Und wo bleibt Gott?

Coyne: Von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus sagt das natürlich gar nichts über Gott – ob er existiert oder nicht oder ob er die Welt erschaffen hat. Meine Interpretation geht so: Gott schuf das Universum so, wie es ist, weil er seine schöpferische Kraft und seinen Dynamismus mit dem Universum teilen wollte. Er wollte das Universum nicht wie eine Maschine konstruieren, die ihre Arbeit verrichtet. Er wollte seine Liebe mit dem Universum teilen. Und deshalb liegt jeder falsch, der die neodarwinistische Evolutionstheorie für inkompatibel mit dem christlichen Glauben hält. Die beiden sind nicht nur miteinander vereinbar, die Evolutionstheorie glorifiziert Gott. Das ist, wohlgemerkt, meine religiöse Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnis – keine Wissenschaft.

ZEIT: Ist Gott außerhalb des Universums?

Coyne: Sowohl außerhalb als auch innerhalb. Er wirkt im Universum durch seinen Geist. Gott ist immanent im Universum. Das ist kein Pantheismus, er ist nicht identisch mit dem Universum. Gott ist ewig, was immer das heißt. Wir haben Schwierigkeiten mit dem Begriff der Ewigkeit, weil wir in der Zeit leben. Deshalb können wir uns auch nicht vorstellen, dass Zeit und Raum erst im Urknall ihren Anfang nahmen. Es gibt kein »vor dem Urknall«, es gab keine Zeit.

ZEIT: Hat Gott den Urknall geschaffen?

Coyne: Ja. Aber das war kein singulärer Akt, sondern es ist eine kontinuierliche Schöpfung. Aber das ist ein Glaubensbekenntnis, keine Wissenschaft. Der Urknall benötigt nicht unbedingt einen Gott.

ZEIT: Stephen Hawking argumentiert: Wenn es keinen Anfang gab, gibt es auch keinen Platz für Gott.

Coyne: Falsch. Gott ist keine Randbedingung des Universums. Man kann die Existenz Gottes nicht mit Hilfe der Quantenphysik widerlegen – noch kann man sie beweisen. Die Wissenschaft ist gegenüber religiösen, philosophischen und theologischen Schlussfolgerungen absolut neutral.

ZEIT: Damit dürften Sie in der katholischen Kirche eine Minderheitenmeinung vertreten.

Coyne: Die meisten Katholiken stehen solchen Diskussionen sehr zurückhaltend gegenüber. Viele haben Angst, dass wir Gott verlieren werden. Eine absolut unbegründete Angst. Ich kann mich nur wiederholen: Wissenschaft glorifiziert Gott.

ZEIT: Bekommen Sie manchmal Ärger von Ihren Kollegen?

Coyne: Nein, dafür hört man mir nicht genug zu.

ZEIT: Wie sieht es auf der anderen Seite aus, kann die Wissenschaft von der Religion lernen?

Coyne: Ich sehe kein spezielles Fachgebiet, wo das der Fall sein könnte. Generell kann die Religion aber die Wissenschaft davon abhalten, sich allwissend zu fühlen. In diese Versuchung gerät die Wissenschaft leicht, weil sie so erfolgreich ist.

ZEIT: Kann die Wissenschaft die katholische Kirche noch mit irgendetwas schockieren?

Coyne: Schwer zu sagen. Jedes Mal, wenn die Wissenschaft mit neuen Entdeckungen kommt, reagieren Teile der katholischen Kirche mit Skepsis und Ablehnung. Das liegt in der Natur dieser Institution. Vor allem, wenn es um die Evolutionstheorie geht. Ich kann partout nicht erkennen, warum die Evolutionstheorie als atheistisch angesehen wird.

ZEIT: Weil es in der Bibel heißt, dass Gott den Menschen erschaffen hat.

Coyne: Das ist eine wunderschöne Geschichte, aber keine Wissenschaft. Die Bibel wurde zwischen 2000 vor Christus und 200 nach Christus von vielen verschiedenen Autoren aus unterschiedlichen Kulturen geschrieben. Sie enthält eine Menge Wahrheiten, aber keine wissenschaftliche Wahrheit. Am ersten Tag machte Gott das Licht, und am vierten Tag schuf er die Sonne und die Sterne. Nur, mit Verlaub, wo zum Teufel kam am ersten Tag das Licht her, wissenschaftlich gesprochen? Ein Wissenschaftler hat mir mal vorgeschlagen, es könne sich um die kosmische Hintergrundstrahlung handeln…

ZEIT: …das Echo des Urknalls.

Coyne: Das ist absurd. Die Hintergrundstrahlung wurde in den 1960er Jahren entdeckt, ein Autor der Genesis konnte das nicht vorhersehen.

ZEIT: Vielleicht wurde er von Gott inspiriert?

Coyne: Ich kann hier nicht über göttliche Inspiration reden. Was meinen wir mit Inspiration? Was, wenn wir von Gottes Wort sprechen? Das ist ein schwieriges theologisches Thema.

ZEIT: Bleiben wir auf dem festen Boden der Wissenschaft: Glauben Sie an die Existenz von außerirdischem Leben?

Coyne: Wir haben weder Beweise dafür noch dagegen: Also gibt es keine wissenschaftliche Antwort. Es gibt nur die Diskussion, ob die Bedingungen für Leben anderswo im Universum gegeben sind. Immer mehr Daten, die wir sammeln, scheinen dafürzusprechen.

ZEIT: Wären Aliens ein Problem für die Kirche?

Coyne: Stellen wir uns einmal eine Konversation mit einem Außerirdischen vor. Meine erste Frage würde lauten: Bist du intelligent? Nehmen wir an, wir kommen zu dem Schluss, dass er so intelligent ist wie ich. Dann frage ich: Bist du spirituell? Oh ja, sagt er, wir glauben an ein ewiges Leben und an ein allmächtiges Wesen. Großartig, also frage ich: Habt ihr gesündigt? Dahinter steckt die ganze Diskussion über die Erbsünde. Nehmen wir an, er bejaht, seine Großeltern hätten ihm erzählt, dass die Urahnen einst sündigten. Wurdet ihr erlöst? Nun, wenn er jetzt antwortet: Ja, wir wurden erlöst, weil Gott uns seinen einzigen Sohn schickte, dann haben wir ein theologisches Problem. Konnte Gott seinen einzigen Sohn, wahrer Gott und wahrer Mensch, zu uns schicken und seinen einzigen Sohn, wahrer Gott und wahrer Marsianer, zu einem anderen Planeten?

ZEIT: Klingt kompliziert.

Coyne: Ich sehe nicht, wie das gehen sollte. Aber meine eingeschränkte Vorstellungskraft bedeutet nicht, dass es nicht geht. Der Punkt ist: Wir stellen hier viele Hypothesen auf. Also werde ich ungeduldig. Ich muss meine Wissenschaft voranbringen, ich kann nicht dauernd darüber nachdenken, ob Jesus auf anderen Planeten erscheint oder ob ich Aliens taufen würde.

ZEIT: Wissenschaft ist im Selbstverständnis kritisch, undogmatisch und offen gegenüber neuen Ergebnissen. Die katholische Kirche vertraut der Unfehlbarkeit des Papstes. Geht das zusammen?

Coyne: Die Autorität der Wissenschaft sind die Fakten, die empirischen Daten. Wogegen die Autorität innerhalb der Kirche eine von außen aufgezwungene Autorität ist, kein Zweifel. Wir sehen die Kirche in diesem Punkt sehr kritisch. Ich leugne die Unfehlbarkeit nicht, aber ich sage den Leuten: Der Papst ist unfehlbar, aber wir wissen nie, wann und wie er zu einer Schlussfolgerung gekommen ist.

ZEIT: Fühlen Sie als katholischer Astrophysiker und forschender Katholik eine innere Zerrissenheit?

Coyne: Es gibt eine Spannung, aber es ist eine gesunde Spannung. Vor ungefähr zehn Jahren hielt ich einen Vortrag in Triest über Unsicherheiten bei der Altersbestimmung des Universums. Zufällig trug ich meinen Priesterkragen. Nach dem Vortrag stand jemand auf und sagte: Es muss ein großer Trost sein, wenn man bei all diesen Unsicherheiten wissenschaftlicher Ergebnisse den Glauben als einen Hafen der Sicherheit anlaufen kann. Ich nahm meinen Kragen ab und sagte: Sie irren sich total. Der Glaube ist kein sicherer Hafen, er ist eine Herausforderung. Jeden Morgen wache ich auf und habe Zweifel, gesunde Zweifel. Eines ist sicher, wir werden nie die richtige Vorstellung von Gott und seiner Beziehung zum Universum haben, wenn wir nicht das Universum, so gut es geht, wissenschaftlich erforschen.

Die Fragen stellte Max Rauner

George V. Coyne, geboren 1933 in Baltimore, Maryland, trat schon mit 18 Jahren dem Jesuitenorden bei. Er studierte Theologie, Mathematik, Astronomie und Philosophie und promovierte über die Oberflächenstruktur des Mondes. Seit 1978 leitet Coyne die Sternwarte des Vatikans und engagiert sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Religion. Während der Amtszeit von Papst Johannes Paul II. trieb er die Rehabilitation von Galileo Galilei voran. Specola Vaticana, die Sternwarte des Vatikans, befindet sich in der Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo, 25 Kilometer südöstlich von Rom. 1784 wurde erst ein Turm im Vatikan zur Specola Vaticana ausgebaut, 1935 brachte man die Teleskope aufs Land, wo die Sicht besser war. Heute unterhält die Sternwarte unter Leitung der Jesuiten auch ein modernes Teleskop am Mount Graham in Arizona. Die zwölf Mitarbeiter pendeln zwischen den USA und Italien.

Update: George Coyne wurde im August 2006 von José Gabriel Funes als Direktor der Vatikan-Sternwarte abgelöst.