Andrei Linde und Alexander Vilenkin zählen zu den besten Kosmologen de Welt. Und sie haben eine provozierende These: Unser Universum ist nicht das einzige. In den anderen Welten leben unsere Doppelgänger

Quelle: DIE ZEIT vom 07. Februar 2008
DIE ZEIT: Früher glaubten Kosmologen an ein ewiges Universum, dann erzählten sie uns die Geschichte vom Urknall und einem sich ausdehnenden Weltall, nun gibt es wieder einen Meinungsumschwung. Was kommt als Nächstes?
Alexander Vilenkin: Unserer neuen Theorie zufolge befindet sich das Universum in einem Zustand explosiver Ausdehnung, wir sprechen von Inflation. Der Urknall, den wir in unserem Teil des Universums hatten, war kein einmaliges Ereignis, sondern es gab viele Knalle. Jeder hat eine eigene Region hervorgebracht, einige so ähnlich wie unsere, viele sehen aber ganz anders aus.
ZEIT: Sind das andere Universen?
Vilenkin: Ja, aber wenn Leute von anderen Universen reden, meinen sie oft Parallelwelten, die von unserem Universum komplett abgekoppelt sind. Wir reden hier aber von sehr weit entfernten Regionen im selben Raum. Zwischen diesen Regionen setzt sich die Aufblähung für immer fort. Das ist die ewige Inflation.
Andrei Linde: Es ist nicht so, dass wir uns unbedingt eine extravagante Theorie einfallen lassen wollten. Aber als wir versuchten, einige Probleme der bisherigen Urknalltheorie zu lösen – und die hatte einige Probleme –, kamen wir auf diese Theorie der vielen Universen.
ZEIT: Was geschah vor unserem Urknall?
Vilenkin: Davor gab es diesen energiereichen Zustand der Inflation. Da, wo die Inflation endet, entsteht ein Feuerball aus Teilchen und Strahlung – ein Urknall. Diese Regionen sind wie isolierte Inseln. Zwischen den Inseln setzt sich die Ausdehnung fort und bringt neue Inseln hervor.
ZEIT: Wir leben also auf einer dieser Inseln.
Vilenkin: So ist es. In sehr weiter Entfernung gibt es auch Regionen, in denen ganz andere Naturgesetze herrschen als bei uns.
ZEIT: Mit Verlaub, all das ist eine ziemlich bizarre Schöpfungsgeschichte.
Linde: Was wir jetzt machen, sieht in der Tat ziemlich verrückt aus. Aber man sollte sich ein bisschen Verrücktheit erlauben und genug Selbstbewusstsein haben, Druck von außen zu widerstehen. Früher galten die Dinge, über die wir hier reden, als kompletter Nonsens. Inzwischen wirkt die Theorie ansteckend.
Vilenkin: Wir waren eine Zeit lang die Einzigen, die über viele Universen redeten. Dank neuer Entwicklungen in der Stringtheorie gibt es inzwischen aber ein großes Interesse.
ZEIT: Die Stringtheoretiker wollten uns eines Tages eine Weltformel präsentieren. Statt dessen heißt es nun, die Stringtheorie habe nicht eine einzige, sondern 10 hoch 500 Lösungen. Was heißt das?
Vilenkin: Die Naturgesetze enthalten Naturkonstanten wie die Massen der Elementarteilchen, die Gravitationskonstante und mehr. Die Stringtheoretiker träumten davon, diese Konstanten eines Tages aus einer fundamentalen Theorie zu berechnen. Jetzt sieht es aber so aus, als würden wir das niemals schaffen, weil die Theorie alle möglichen Werte zulässt.
ZEIT: Entspricht jede Lösung der Theorie einem anderen Universum?
Vilenkin: Jede Lösung beschreibt eine mögliche Region im gesamten Multiversum. Irgendwo existiert also ein Flecken, der einer dieser 10 hoch 500 Lösungen entspricht.
Linde: Wir leben in jenem Teil, wo die Bedingungen für Leben genau richtig sind.
ZEIT: Wie stellen Sie sich das Multiversum vor?
Vilenkin: In einem einfachen Bild könnte man sagen, das Multiversum bestehe aus Blasen – Universen –, die im Raum entstehen und sich dann fast mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnen. Blasen, die vor langer Zeit entstanden, sind riesig, Blasen, die gerade erst entstanden sind, winzig. Zwischen ihnen expandiert der Raum so schnell, dass die Blasen niemals kollidieren. Neue Blasen entstehen, manche sogar innerhalb existierender Blasen. Es ist also ein ziemlich schaumiges Bild.
ZEIT: Könnte ein neues Universum direkt vor uns auf dem Tisch aufpoppen?
Vilenkin: Ja, so eine Blase würde uns ohne Vorwarnung treffen…
Linde: …und der Rekorder würde aufhören aufzunehmen, wir würden keine Fragen mehr beantworten – und auch aufhören zu existieren.
ZEIT: Man würde die Geburt eines neuen Universums also tatsächlich bemerken?
Linde: Bemerken vielleicht, aber niemals darüber berichten.
ZEIT: Kann man andere Universen in einem Teilchenbeschleuniger erzeugen?
Linde: Ich würde es nicht empfehlen. Wenn man Glück hat und weiß, was man tut, kann man ein harmloses Universum erzeugen, das sich von unserem Universum abtrennt. Warum sollte man es dann tun? Wenn man Pech hat, erzeugt man eine Blase, die einen schluckt. Solche Experimente sollten verboten werden.
ZEIT: Haben sie mal die Wahrscheinlichkeit für so ein Ereignis am neuen Teilchenbeschleuniger des Forschungszentrums Cern in Genf ausgerechnet?
Vilenkin: Haben wir. Es ist sehr unwahrscheinlich. Machen Sie sich keine Sorgen.
Linde: Es gibt einige hochenergetische Teilchen im Universum, die mit viel höheren Energien kollidieren, als wir sie in einem Teilchenbeschleuniger erzeugen können. Wenn diese Kollisionen in der Lage wären, Blasen zu erzeugen, wären wir schon längst tot.
Ich sollte noch eine andere Konsequenz der Multiversumstheorie erwähnen: Die Unterhaltung, die wir gerade führen, passiert genau so mit den gleichen Leuten unendlich Mal in anderen Universen.
ZEIT: Sie scherzen.
Der Grund ist sehr einfach: Das Multiversum ist unendlich, und es gibt eine unendliche Anzahl von Regionen, die durch die ewige Inflation entstehen. Auf der anderen Seite gibt es in einer begrenzten Region und in endlicher Zeitspanne aber nur eine endliche Zahl von möglichen Dingen, die passieren können. Also hat man eine endliche Zahl von Geschichten, die in unendlich vielen Orten spielen. Folglich findet jede mögliche Geschichte auch irgendwo statt. Es gibt Kopien von uns Menschen.
ZEIT: Doppelgänger-Universen mit jedem Atom am selben Ort wie in unserem?
Vilenkin: Exakte Kopien unserer Welt. Natürlich gibt es noch viel mehr Regionen, wo ganz andere Dinge passieren.
ZEIT: Wo meine Lieblingsmannschaft in der Bundesliga nicht verliert, sondern gewinnt?
Vilenkin: Das ist korrekt.
Linde: Wo dieses Interview nie gedruckt wird.
ZEIT: Wo Dinosaurier große Autos fahren?
Vilenkin: Auch das.
ZEIT: Wo die Nazis die Welt regieren?
Linde: Leider ja.
Vilenkin: Alles, was nicht von den Naturgesetzen verboten ist.
ZEIT: Welchen Sinn hat das Leben in dieser Welt?
Linde: Man lebt sein eigenes Leben, auch wenn die Kopien dasselbe tun.
Vilenkin: Ehrlich gesagt, ich finde es deprimierend. Am meisten deprimiert mich der Verlust der Einzigartigkeit. Egal, ob unsere Zivilisation nun gut oder schlecht ist, ich dachte immer, wir wären etwas Besonderes. Nun sieht es aber so aus, als wären da unendlich viele andere.
Linde: Alexander, es gäbe zwar einige Orte, wo Kandinsky seine wunderschönen Bilder nicht malen würde, aber es gäbe auch viele, wo er sie malen würde. Das macht mir Hoffnung.
Vilenkin: Einige Menschen mögen die Idee des Multiversums, weil es dann Welten gibt, die besser sind als unsere. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich.
ZEIT: Bekommen Sie böse Briefe?
Vilenkin: Nein, ich bekomme Vorschläge, Buddhismus zu praktizieren.
ZEIT: Wenn es wirklich all diese anderen Universen mit Doppelgängern von uns gibt, dann muss es auch viele Universen geben, in denen Ihre Theorie widerlegt wurde.
Linde: Naaaaa (lacht).
ZEIT: Es ist ein philosophisches Problem.
Vilenkin: Die Theorie kann nicht vorhersagen, dass sie falsch ist. Es kann natürlich andere Orte geben, wo die Leute denken, die Theorie sei falsch.
ZEIT: Die haben sich dann verrechnet?
Vilenkin: Genau.
ZEIT: Werden wir die anderen Universen jemals sehen oder womöglich besuchen können?
Vilenkin: Sie sind außer Reichweite. Wir können nur indirekte Beweise dafür haben.
ZEIT: Das klingt nach einem Problem für eine wissenschaftliche Theorie.
Linde: Erstens sollte man niemals nie sagen. Zweitens sollte man indirekte Beweise nicht unterschätzen. So funktioniert das Rechtssystem. Wenn jemand einen anderen umbringt, gibt man ihm kein Messer, um noch einmal zu morden. Stattdessen lässt man zwölf Geschworene entscheiden, ob dies die einzige Erklärung für den Mord ist.
Trotzdem müssen wir weiterhin versuchen, Vorhersagen aus der Theorie abzuleiten. Es gibt noch einige Werte, etwa die Neutrinomassen, die noch nicht gemessen wurden. Wir versuchen nun, Vorhersagen für diese Werte zu machen. Wenn sie mit den Experimenten übereinstimmen, wird das unserer Theorie mehr Glaubwürdigkeit verleihen.
ZEIT: Der Vatikan hat einst die Urknalltheorie akzeptiert. Gibt es im Multiversum noch Platz für den lieben Gott?
Vilenkin: Der Spielraum Gottes in der Kosmologie schrumpft. Früher konnte man vielleicht noch annehmen, er habe das Universum irgendwie zum Laufen gebracht. Aber im Multiversum beschreiben die Naturgesetze auch die Entstehung der Universen aus dem Nichts. Man kann natürlich noch fragen, woher die Naturgesetze kommen. Das ist ein Mysterium. Es beweist allerdings nicht die Existenz Gottes, noch widerlegt es sie.
ZEIT: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Vilenkin: Nein.
ZEIT: Nicht in einer anderen Blase?
Linde: Wer weiß das schon!
Das Gespräch führte Max Rauner
Andrei Linde, Professor an der Stanford University, Kalifornien, hat die Multiversumstheorie entwickelt. Alexander Vilenkin von der Tufts Universitiy, Massachusetts, fürchtet Doppelgänger in anderen Welten.