Harald Lesch ist skeptisch

Innenarchitekt guckt raus

Innenarchitekt guckt raus


3sat widmet sich diese Woche dem Multiversum. Harald Lesch gibt den Skeptiker: “Wir haben gar keine Möglichkeit, das gesamte System zu verstehen, wir müssten uns außerhalb des Systems aufhalten. Dann und auch nur dann könnten wir die Fragen beantworten wie z.B. was war vor dem Urknall oder das Berühmte: ja, wo hinein expandiert denn dieses Universum eigentlich? Wir müssen uns damit abfinden: Kosmologie ist Innenarchitektur.”

Aber, lieber Herr Lesch: darf man den Kosmologen nicht ein bisschen Spekulation erlauben? Über Schwarze Löcher hat man spekuliert, als ihre Entdeckung utopisch erschien. Heute kann man sie indirekt nachweisen. Schrödingers Katze und Teleportation waren Gedankenexperimente – bevor Laborversionen dieser Ideen Jahrzehnte später verwirklicht wurden. Sicher, die Parallelwelten wird man wohl niemals erkennen. Aber noch ist es zu früh, Denkverbote auszusprechen. Sollte die Stringtheorie eines Tages für unser Universum gute Vorhersagen machen (wovon wir weit entfernt sind) und darüber hinaus Parallelwelten postulieren, warum nicht auch diese Vorhersagen dann ernst nehmen?

Das sagte der Philosoph Martin Carrier im ZEIT-Interview:

ZEIT: Was machen wir mit einer Theorie, die auf unzählige weitere Universen hinweist, ohne sie der Erfahrung zugänglich machen zu können?

Carrier: Es gibt einen Ausweg. Nehmen wir die allgemeine Relativitätstheorie: Auch deren Grundidee, die Geometrisierung der Gravitation, können wir nicht direkt überprüfen. Doch wir messen deren Konsequenzen – Rotverschiebung, Uhrenverlangsamung – und glauben daher auch an das Grundprinzip. Wir trauen uns sogar Aussagen darüber zu, was passiert, wenn ein Astronaut in ein Schwarzes Loch fällt – auch wenn wir das empirisch nie werden überprüfen können.

ZEIT: Nehmen wir an, wir befänden uns mitten in einer wissenschaftlichen Revolution, wie zu Zeiten von Kopernikus oder Einstein. Woran könnten wir das merken?

Carrier: Das ist schwer zu sagen. Es dauert mitunter Jahrzehnte, bis wissenschaftliche Umbrüche in der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannt sind und oft noch länger, bis sie die Öffentlichkeit akzeptiert. Der Darwinismus etwa ist erst ein halbes Jahrhundert nach der Formulierung durch Darwin in der Wissenschaft akzeptiert worden. Manchmal werden Revolutionen auch abgebrochen, und man kehrt zu alten Vorstellungen zurück. Zeitgenossen merken häufig nichts von den Revolutionen, die vor ihren Augen stattfinden.

ZEIT: Könnte es uns mit den unendlich vielen Universen ebenso gehen? Wird diese Vorstellung unseren Enkeln ganz selbstverständlich erscheinen?

Carrier: Das wäre möglich. Vielleicht kommt die Stringtheorie irgendwann zu aussagekräftigen Erfolgen, und dann – das zeigt die Geschichte – könnte man durchaus auch Konsequenzen akzeptieren, die nicht der direkten Erfahrung zugänglich sind. Aber an irgendeiner Stelle brauchen wir eine Bestätigung. Niemals in der Geschichte der Wissenschaft wurde eine Theorie akzeptiert, die nicht auch empirische Fortschritte gebracht hätte.