Weltbilder gibt es! Der Hohlweltlehre zufolge leben wir im Innern einer Hohlkugel. Der amerikanische Arzt Cyrus Teed erfand sie im 19. Jahrhundert. Er stülpte die Welt um: Was vorher unser Heimatplanet Erde war, wurde zum Rand des Kosmos. Sonne, Mond und Sterne ziehen ihre Bahnen im Inneren der hohlen Erde. Die Vertreter der Hohlweltlehre mussten raffinierte Gesetze der Lichtablenkung und Längenverkürzung ausklügeln, damit ihr Konstrukt nicht sofort in sich zusammenfällt.
Marx und das Multiversum
Unglaublich, aber wahr: Das Multiversum spielt jetzt auch für Marxisten eine Rolle. Die Zeitung Neues Deutschland bringt dazu heute ein Interview mit Karl Heinz Roth, Titel “Über Marx hinaus ins Multiversum”. Es geht darin gar nicht um Kosmologie. Andererseits spielt dieses Interview doch auch irgendwie in einem Paralleluniversum:
“(…)
Neues Deutschland: Der zentrale Begriff, den Sie als Antwort auf diesen eingeengten Proletariatsbegriff vorschlagen, ist der des »Multiversums« – die Summe aller Ausgebeuteten. Ist das Multiversum auch eine Konsequenz aus der stets blamablen operaistischen Annahme, es gebe bestimmte Segmente innerhalb des Proletariats, das die Prozesse anschieben würde?
Roth: Zumindest ist es ein endgültiger Abschied von dieser Annahme. Sie ging davon aus, dass nach den Facharbeiterbewegungen des 19. Jahrhunderts die industriellen Massenarbeiter die Epoche von den Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zu den Revolten Ende der 60er und der 70er Jahre geprägt hätten. Diese Auffassung war trotz einiger wichtiger Analysen zu den Klassenzusammensetzungen nicht haltbar.
Neues Deutschland: Vor 15 Jahren hatten Sie eine innerhalb der radikalen Linken intensiv diskutierte »Wiederkehr der Proletarität« prognostiziert. Widersprechen Sie dem nun?
Roth: Es ist eine Weiterentwicklung. Die Ausdehnung von Phänomenen wie Leiharbeit, Scheinselbständigkeit und anderer deregulierter Arbeitsverhältnisse führte bei mir zur Infragestellung einer ganz bestimmten zentralen Figur der Kämpfe. Es ging schon damals darum, die verschiedenen Existenzweisen innerhalb der Klasse der Ausgebeuteten zusammenzuführen und solidarisch aufeinander zu beziehen. Dennoch blieb dies noch auf die doppelt freie Lohnarbeit beschränkt. Mit dem Begriff des Multiversums wollen wir diese Sicht weiter entgrenzen.”
Dürfen die Marxisten das?
Klar, aber erfunden haben sie das Multiversum nicht. In unserem Buch schreiben wir über den Ursprung des Begriffs:
“Die Wissenschaft nähert sich mit dem Multiversum der Grenze zur Fantasie, das zeigt sich schon die bewegte Geschichte des Worts “Multiversum”. Passend zu seiner Bedeutung wurde es mehrmals erfunden. Erstmals gedruckt erschien es im Jahr 1895. Der amerikanische Psychologe William James schrieb damals in einem Buch The Will to Believe: “Visible nature is all plasticity and indifference – a moral multiverse, as one might call it, not a moral universe” (etwa: Die sichtbare Natur ist beliebig und gleichgültig – ein moralisches Multiversum, wenn man so will, kein moralisches Universum). James dachte nicht an eine Vielfalt von Welten, sondern an einen moralischen Pluralismus in einer einzigen Welt.
Seiner heutigen Bedeutung näherte sich das Wort “Multiversum” mit dem schottischen Hobby-Astronomen Andy Nimmo im Dezember 1960. Nimmo, damals Zweiter Vorsitzender des schottischen Zweigs der Britischen Interplanetarischen Gesellschaft, bereitete einen Vortrag über Hugh Everetts Theorie vor. “Ich brauchte einen Plural, wollte aber nicht ‘Welten’ sagen, weil das in unseren Kreisen Planeten bedeutet”, erinnert Nimmo sich, “also erfand ich das Wort ‘Multiversum’ und definierte es als ‘ein scheinbares Universum, von denen eine Vielzahl das ganze Universum bildet’.” Nimmo verstand also Universum und Multiversum genau anders herum als wir heute. Irgendwie sickerte das “Multiversum” in englische Science-Fiction-Kreise ein, der Autor Michael Moorcock schnappte es auf, gab ihm seinen heutigen Sinn und brachte es in seinen Büchern unter die Leute.”
Buchtipp von radioberlin
Monika Burghard rezensiert für radioberlin Die verrückte Welt der Paralleluniversen (Hat sich das Studium also doch gelohnt):
“(…)
Wieso also soll es keine Paralleluniversen geben, wo jeder von uns jede Menge Doppelgänger hat? Tobias Hürter und Max Rauner sind keine Phantasten, sie haben Philosophie studiert, Mathematik und Physik.
Der eine kann als Wissenschaftler dieser verrückten Idee von der Doppelexistenz immer mehr Einleuchtendes abgewinnen, der andere findet’s nach wie vor verrückt, also diskutieren die Beiden uns was vor. Keine Sorge, es gibt kein wissenschaftliches Kauderwelsch, wer ein bisschen aufgeschlossen ist für interessante Spekulationen, der kann prima folgen.
Es hat aber nichts zu tun mit “Per Anhalter durch die Galaxis” oder “Odyssee im Weltraum”, es ist schon ernst gemeint. So ernst wie die Schriften von Stephen Hawking zum Beispiel, der es ja auch auf die Bestsellerlisten geschafft hat.
Die Sache mit dem Urknall wird beleuchtet, der Urknall kommt uns mittlerweile schon irgendwie plausibel vor. Warum eigentlich? Was hat denn da geknallt? Da war dann wohl schon was. Wo nichts ist, knallt nichts.
Wir erfahren auch, dass Wissenschatler ihre Theorien nicht immer ganz wertfrei und uneigennützig entwickeln, auch da ist die eine grosse Konstante im Spiel: Geld.
Also, wer sich gern ein bisschen irritieren lassen möchte im gewohnten Denken und wer gern in die Sterne guckt und dabei grübelt, der ist hier richtig.”
Last Exit
Die Religiösen wissen nicht so recht, was sie vom Multiversum halten sollen. Christoph Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien, schimpfte 2005 in der New York Times auf die Multiversums-Hypothese. Sie sei “aufgestellt worden, um dem überwältigenden Beweis für Zweck und Plan auszuweichen, der in der modernen Wissenschaft zu finden ist”. Folglich sei sie “nicht wissenschaftlich, sondern eine Abdankung der menschlichen Vernunft”. Dazu passt, dass der Oberatheist Richard Dawkins ungekehrt meint, die Idee sei “von größter Schönheit” und das Multiversum viel weniger exotisch als die Gotteshypothese. “Das Multiversum mag exotisch erscheinen, was die schiere Zahl der Universen betrifft”, schreibt Dawkins in seinem Buch “Der Gotteswahn”. “Aber jedes dieser Universen ist in seinen Grundgesetzen einfach – das heißt, wir postulieren nichts, was höchst unwahrscheinlich wäre.”
Nun aber versucht der katholische Publizist Dinesh D’Souza in einem neuen Buch Life after Death, das Leben nach dem Tod mit dem Multiversum zu beweisen. Weil es im Multiversum unzählige Universen mit unterschiedlichen Naturgesetzen und Naturkonstanten gebe, schreibt er, “there is nothing in physics to contradict the idea that we can live beyond death in other realms with bodies that are unlike the bodies we now possess.” Das ist allerdings nicht ganz richtig: Es gibt keine Möglichkeit, von einem Universum ins andere zu gelangen, nicht für Atome, nicht für Licht – und für die Seele? Unwahrscheinlich, denn Seelenwanderung wäre wohl so etwas wie Informationsübertragung, und auch für die gilt das Tempolimit der Lichtgeschwindigkeit. Der Raum zwischen den Universen jedoch expandiert schneller (sagen Kosmologen wie Andrei Linde).
Außerdem hat D’Souza Unsterblichkeitsbeweis noch einen anderen Schönheitsfehler: Für das Multiversum, so schreibt ein Rezensent in Newsweek, gibt es zurzeit ebensowenig empirische Evidenz wie für die Existenz eines Seele. Er hat recht.
Berlin Kreuzberg, 27. November
Tobias Hürter und Max Rauner diskutieren in der Science Fiction- und Fantasy-Buchhandlung “Otherland” in Berlin-Kreuzberg über die Multiversums-Theorie. Was ist davon Science, was Science Fiction?
Freitag, 27. November, 20 Uhr
Otherland Buchhandlung
Bergmannstraße 25
10961 Berlin
030-69 50 51 17
service@otherland-berlin.de
Wie viele ist Multi?

Leuchtet da ein Universum?
Auszug aus dem Artikel:
“According to quantum physics, observers affect the systems they measure. If observers are an integral part of the cosmic formula, then it may not matter how many universes exist – just how many a single observer can tell apart. If the observer is a person, that depends on how many bits of information the brain can process. “Based on the number of synapses in a typical brain, a human observer can register 10^16,” says Linde. That means humans can differentiate 10^10^16 universes, which is much more manageable than the 10^10^10000000 Linde and Vanchurin found to start with. But does the human brain really play a role in making predictions in the multiverse? ‘This goes deep into philosophy,’ Linde says. ‘It’s a slippery slope.'”